Chefnotiz am Mittwoch 15.11.2017

Blitzreform auf dem Strommarkt – Preise steigen weiter

Die neue Regierung ist noch nicht gebildet, schon steht eine „Blitzreform“ an. Im Wirtschaftsministerium fürchtet man nämlich den langen Arm aus Brüssel. Dort, in der EU-Kommission, denkt man schon lange über eine Aufteilung des deutschen Strommarktes in eine Nord- und eine Südzone nach. 

Die Vorteile aus Sicht der EU-Kommission: Durch die Aufteilung finden Angebot und Nachfrage im deutschen Markt leichter zusammen. Das ist derzeit nicht der Fall. So ist das Stromangebot im Norden hoch, was vor allen Dingen an dem weit vorangeschrittenen Ausbau der Windparks liegt – die Nachfrage ist jedoch gering. Im Süden verhält es sich genau anders rum: Dort ist das Angebot an Ökostrom gering und die Nachfrage hoch. Eine Nord-Süd-Stromtrasse ist zwar in Planung, doch solange diese nicht gebaut ist, kommt es zu keinem Ausgleich. Vorübergehend hätte eine Aufteilung des Marktes zur Folge, dass Deutschland in zwei Preiszonen zerfällt. Heißt: Im Norden sinken die Preise und im Süden steigen sie. Diesen Signalen würde der Markt dann sukzessive folgen. Im Süden würden Kraftwerke gebaut, um die Nachfrage zu decken – das hätte eine Preissenkung zur Folge. Im Norden hingegen würden Kraftwerke abgeschaltet, was eine Preissteigerung zur Folge hätte. 

In Regierungskreisen sieht man vor allen Dingen die Nachteile. Nicht nur, dass ungleiche Strompreise den „sozialen Frieden“ stören. Auch wären höhere Kosten im Süden eine Zumutung für die dort ansässige Industrie. Zudem fürchtet man die Auswirkungen auf die Energiewende, etwa weil die Ökostromerzeuger im Norden unter den sinkenden Preisen zu leiden hätten. Zudem würde eine Auftrennung des Marktes den Bau der Nord-Süd-Stromtrasse noch weiter verzögern als bisher. 

Die – jetzt noch geschäftsführende – Regierung will daher in die Pläne der EU eingreifen: mit der Einbringung eines Gesetzes, dem am besten noch vor Ende des Jahres Kabinett und Bundesrat zustimmen. 

Warum eigentlich? Die Frage muss man sich stellen. Wie oben beschrieben sind die auseinanderdriftenden Preise bloß ein vorübergehendes Phänomen. Der wahre Grund muss also die Sorge um das Gelingen der Energiewende sein. Wenn die marktwirtschaftlichen Zwänge erst einmal greifen, werden im Norden Windkrafträder abgebaut, im Süden hingegen Gas- und Kohlekraftwerke wiederaufgebaut. Das wiederum würde den Bau der Nord-Süd-Stromtasse tatsächlich überflüssig machen. 

Fast möchte man sich wünschen, die EU würde sich mit ihren Plänen durchsetzen. Aber eben nur fast. Denn das Aufteilen der Märkte ist ein massiver Eingriff in das Marktgeschehen: Die Märkte werden kleiner, die Liquidität nimmt ab. Das wiederum führt zu einer hohen Preisvolatilität, somit verlieren börsengehandelte Stromprodukte an Bedeutung. Ergo nimmt der Wettbewerbsdruck stark ab, was – wie immer bei Eingriffen in freie Märkte – einen Anstieg der Strompreise zur Folge hat. Kurzum: Es ist einerlei, ob sich die EU oder die Bundesrepublik durchsetzen, der volkswirtschaftliche Schaden ist vorprogrammiert. Das besonders Traurige daran: Der neuen Regierung wird durch die Blitzreform die Möglichkeit genommen, einen anderen und vielleicht besseren Weg zu finden, mit dem Problem umzugehen.